Technische Gestaltung > Planen und Konzipieren > Ermitteln von Funktionen und deren Strukturen > Synthese von Funktionsstrukturen > Ermitteln der Gesamtfunktion durch Analyse und Variation vorhandener Systeme
Bei zahlreichen Aufgaben existieren Vorbilder für die zu entwickelnde Lösung.
Selten ist jedoch eine Lösung unverändert übernehmbar. Ihr Konzept enthält aber wichtige Hinweise und Ansätze für die gesuchte Struktur.
Voraussetzung für die Methode: Technische Lösung (aus Literatur, Katalogen, Patenten, Marktsituation u.ä.) mit gleicher oder ähnlicher Gesamtfunktion.
Man benutzt die Funktionsstruktur bekannter Lösungen als Grundlage für die Erarbeitung neuer Varianten auf gleicher Ebene oder versucht, sie mit anderen Elementen technisch zu realisieren. Dabei muss die Abstraktion so weit getrieben werden, dass man sich von dem Vorbild lösen kann.
Vorgehen:
- Aufsuchen einer Lösung mit ähnlicher Gesamtfunktion
- Analyse und Bestimmung der Funktionsstruktur
- a. Variation der Funktionsstruktur
b. Prinzipbestimmung mit neuen Realisierungsvarianten
Beispiel:
Zweikoordinatenpositioniereinrichtung. Es handelt sich um die gleiche Aufgabe, wie im Abschnitt "Zerlegen der Gesamtfunktion in Teilfunktionen", wird aber aus einer gegebenen Lösung entwickelt.

Tabelle: Ermitteln der Funktionsstrukturen durch Systemanalyse und Variation
Bemerkungen |
Lösungsschritte |
Aufgabe:
Zweikoordinaten
Positionierein-
richtung mit hoher
Genauigkeit |
Information
 |
Lösung mit
ähnlicher-
Gesamtfunktion
(aus Speicher) |
technisches Prinzip
 |
 |
Funktionsstruktur
aus der
gefundenen
Lösung |
 |
Funktionsstruktur
verallgemeinert
(Feder + Magnet
ein Antriebs-
element,
Funktionsintegra-
tion
am Hebel
aufgelöst) |
Funktionsstruktur 1
 |
Funktionsstruktur 1
variiert und
geforderter
Gesamtfunktion
angepasst |
Funktionsstruktur 2
 |
Funktionsstruktur 2
verallgemeinert
(Grundfunktionen) |
Funktionsstruktur 3
 |
|

Für die Zweikoordinatenpositionierung finden sich in der Literatur zahlreiche Beispiele. Die aus einem Katalog entnommene Lösung ist als Prinzipskizze gegeben. Ein Tastelement wird vertikal durch einen Elektromagneten über den Winkelhebel in zwei Stellungen gebracht. Die Bewegung der Y-Richtung erzeugt ein Elektromotor über ein Schraubengetriebe. Diese Lösung erfüllt nicht die erforderliche Gesamtfunktion. Man muss sie modifizieren. Zunächst ermittelt man die Funktionsstruktur der gegebenen Lösung. Die Bewegung SZ ist realisiert durch den Hebel, den Elektromagneten und die Rückstellfeder, welche auf dem Führungsschlitten der Y-Bewegung montiert sind. Man spricht vom Huckepack-Konzept. So müssen beide Bewegungen in Reihe geschaltet. Eine Verallgemeinerung dieser Funktionsstruktur führt zu einer neuen Funktionsstruktur 1. Dabei werden die Funktionselemente des Antriebs für SZ wie folgt modifiziert: Magnet und Feder lassen sich zu einem bidirektionalen Antrieb zusammenfassen. Der Winkelhebel hat in einer gegebenen Lösung zwei Funktionen. Er verstärkt auf Grund der unterschiedlichen Schenkellänge den Hub-SM und dient der Führung der Tastspitze, die sich auf einem Kreisbogen bewegt. Funktionenintegration bei Magnet und Feder sowie die Funktionentrennung beim Hebel ergeben die neue Funktionsstruktur, die nun wieder modifiziert wird. Entsprechend der geforderten Gesamtfunktion fügt man nun die Steuereinrichtung hinzu und vereinigt beide Führungen zu einer Zweikoordinatenführung, wodurch beide Antriebsstränge parallel geschaltet werden. Außerdem erhalten sie identische Funktionselemente. Diese Lösung ist identisch mit der Funktionsstruktur 3 im Beispiel des Abschnittes "Zerlegen der Gesamtfunktion in Teilfunktionen". Eine weitere Abstraktion der Funktionselemente, zum Beispiel durch Begriffe Wandeln und Umformen, eröffnet den Zugang zu anderen Antriebs- und Positionierkonzepten.
Beispiel Entwickeln einer Uhr:
Ein konventionelle mechanische Uhr dient mit ihrer Funktionsstruktur als Vorbild für neue Konzepte.

Funktionsstruktur einer mechanischen Uhr
1. Stufe der Verallgemeinerung:
Tabelle: Prinzipfindung mittels verallgemeinerter Funktionsstruktur
Funktionen |
Elemente |
1 |
2 |
3 |
4 |
5 |
6 |
7 |
A |
Energie-
quelle |
Hand-
aufzug |
Pendel-
aufzug |
Wärme-
ausdehnung |
Druck-
schwankung |
Temp-
schwankung |
hydrauli-
sche
Energie |
galvani-
sches
Element |
B |
Energie-
speicher |
Feder |
Bimetall |
Druckgefäß |
Akku |
kein
Speicher |
Gewicht-
speicher |
usw. |
C |
Zeit-
Normal |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
Netz |
D |
Regler |
mechan
Hemmung |
Schritt-
schaltwerk |
Flieh-
kraftregler |
Wirbelstrom
bremse |
kein
Regler |
usw. |
|
E |
Motor |
Federhaus |
Elektro-
motor |
pneumat
Motor |
hydraul
Motor |
elektron
Motor |
Synchron-
motor |
kein
Motor |
F |
Getriebe |
Zahnrad |
Ketten |
Rollen |
Schnecke |
Magnet |
Flüssigkeit |
usw. |
G |
Anzeige |
bewegl.
Zeiger
Zifferbl. |
Zifferblatt
beweglich
feste Marke |
Rollen
Fenster |
Schieber
feste
Marke |
Wende-
blätter |
Projektion |
Digital |
H |
Einheit |
s |
s, min |
s, min, Std. |
s, min, Std.,
Tag |
s, min, Std.,
Datum |
usw. |
|
|

Die Gesamtfunktion einer von Hand aufziehbaren Uhr ist durch einen Pendelschwinger geprägt, dessen Energieverlust periodisch über die Funktionselemente der mechanischen Energiespeicherung durch die Hemmung ausgeglichen, d. h. geregelt wird. Die Verallgemeinerung der Funktionselemente erweitert den Bereich der möglichen physikalischen Funktionsträger für die Elemente des Systems. Die Funktionselemente der verallgemeinerten Funktionsstruktur sind nun Grundlage für die Bestimmung neuer Elemente für die Realisierung der Teilfunktionen. Die Kombinationstabelle, nach Zwicki auch als morphologischer Kasten bezeichnet, liefert zahlreiche andere Konzepte für die technische Realisierung einer Uhr. Die Abstraktion einer bekannten Struktur öffnet den Zugang zu neuen Lösungen.
Beispiel - Automatisieren der Justierung von Relais:
Die unbestimmte Justierung von Kontaktfedern kann durch Veränderung des Verfahrensprinzips zu einem iterativen, zielführenden Prozess umgestaltet werden.


Die vier Kontaktfedersätze eines elektromechanischen Relais werden durch einen Klappanker über die Kulisse K durch Bewegung der Umschaltfeder U geschaltet, die im Ruhezustand an den Öffnerfeder Ö anlegt. Beim Einschalten des Relais bewegt sich die Kulisse um den Ankerhub AH und schließt den Kontakt zwischen Umschaltfeder U und Schließfeder S. Um Schaltzeit und Kontaktkräfte funktionsgerecht einzustellen, müssen die Abstände AK und AS gleichzeitig die Kräfte F, K, Ö am Öffnerkontakt und F, K, S am Schließer durch Biegen der Umschaltfeder und der Stützplatten S, T, Ö am Öffner und S, T, S am Schließer justiert werden. Das Biegen beeinflusst jedoch gleichzeitig die Kraft und den Abstand, der die Schaltzeit bestimmt.
Weiterentwicklung des Verfahrensprinzips für die Justierung von Relais




Die durch Erfahrung ermittelte Operationsfolge für die manuelle Justierung zeigt freiere Kopplungen als Zeichen einer unbestimmten Justierung. D.h. die nachfolgende Justieroperation beeinflusst das Ergebnis der vorangegangenen. Diese Zyklen können beseitigt werden, wenn sich die Federn im Ausgangszustand nach der Montage nicht berühren, sowie Kraft und Abstand, beim Biegen ständig gemessen, und das Steuerparameter für den Biegemanipulator genutzt werden. Das neue Verfahrensprinzip ist Grundlage für die Automatisierung der Justierung.


Der Kontaktfedersatz des Mittels eines positionsgesteuerten Biegewerkzeugs wird in der Reihenfolge Umschaltfeder – Öffnerfeder – Stießerfeder – justiert. Abstand und Kräfte werden ständig gemessen und die notwendigen Bewegungen durch eine Mikrorechner in der ermittelten Operationsfolge gesteuert. Die neue technische Lösung wurde durch Analyse und Variation der durch ein Verfahrensprinzip beschriebenen Justierung gefunden.
Die neue technische Lösung wurde durch Analyse und Variation der durch ein Verfahrensprinzip beschriebenen Justierung gefunden.
Beispiel - Optimieren eines Stellelementes durch Variation der Funktionsstruktur:


Für eine Verarbeitungsmaschine wird ein nicht periodisch gesteuerter Stellweg benötigt. Der notwendige Stellweg Sa mit einer ausreichenden Kraft lässt sich über eine zusätzliche Energiequelle, im Beispiel die Schubkurbel, gewinnen. Über einen mechanischen Schalter steuert der Elektromagnet die Übertragung des Weges S1 nach Sa. Die benötigte Schaltenergie ist jedoch noch so groß, dass die geforderte Frequenz nicht erreicht wird. Über die verallgemeinerte Darstellung im Blockbild lassen sich neue Lösungsansätze finden. In Variante 1 wird das gleiche Prinzip noch einmal auf die Betätigung des Schalters angewendet und es ist zwar nicht durch die Elektromagneten sondern von einer zusätzlichen Quelle erzeugt. Der fest zwei notwendige Schalter ist in Variante 2 durch einen steuerbaren Speicher ersetzt, der periodisch geladen wird. Die Variation erfolgt durch die Hinzufügung und Austausch von Funktionselementen. Überlegungen auf dieser Attraktionsebene ergeben schnell einen guten Überblick über eine größere Anzahl z.B. patentrechtlich geschützter Lösungen und eröffnen Wege zu neuen Prinzipien.
