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Prototypen sind voll funktionsfähige Einzelstücke eines für die Serienfertigung vorgesehenen Produktes. Sie werden in der Regel manuell gefertigt und dienen der Produkteroberung. Für die Herstellung eines physischen Modells ("Mock-Up" oder Physical Mock-Up - PMU) wird oft Holz oder Kunststoff verwendet. Diese Mock-Ups werden vielfach benutzt, um die Kollisionsfreiheit und Montierbarkeit von Bauteilen zu überprüfen. Beispielsweise wird in der Automobilindustrie häufig beim Prototypenbau zuerst ein Kunststoffmodell des Kraftstofftanks gebaut, um zu überprüfen, ob der Tank in den vorgesehenen Bauraum eingebaut werden kann und ob er nicht mit anderen Bauteilen kollidiert. Erst wenn das gesichert ist, wird ein funktionsfähiger Prototyp des Tanks aus Blech gefertigt. [GaEK-01]
Der Einsatz von Versuchsmodellen und Prototypen stellt einen wichtigen Bestandteil des Produktentwicklungsprozesses dar. Nun haben physische Prototypen jedoch zwei entscheidende Nachteile: sie kosten Zeit und Geld. [GaEK-01] Ein Grund hierfür ist, dass bei der Verwendung physischer Prototypen Medienbrüche in Kauf genommen werden müssen. Sobald also Modellierungsarbeiten an einem PMU vorgenommen werden, sind die Modelldaten nicht mehr durchgängig digital verfügbar. Ein zeitaufwendiger Rückführungsprozess (Digitalisierung, Flächenrückführung siehe Kapitel Systeme und Verfahren zum Digitalisieren von physischen Modellen) von der realen Welt in die digitale ist dann notwendig. Des weiteren nimmt die Fertigung eines physischen Prototypen Zeit in Anspruch, in welcher die Ingenieure auf Basis alter Modelldaten weiterarbeiten müssen. Abgesehen von den Materialkosten für den Bau der physischen Prototypen sind noch Herstellungskosten zu berücksichtigen, die bei der Vorserienfertigung eines Prototypen enorm hoch sind. Darum gab es schon immer die Bestrebungen, die Anzahl von physischen Prototypen so gering wie möglich zu halten [GaEK-01]. Virtuelle Prototypen eröffnen eine neue Perspektive. Ein virtueller Prototyp beziehungsweise ein digitaler Mock-Up (Digital Mock-Up - DMU) ist eine rechnerinterne Repräsentation eines echten Prototypen. Virtual Prototyping heißt, Rechnermodelle von in Entwicklung befindlichen Objekten zu bilden und zu analysieren. Das reduziert den zeit- und kostenaufwendigen Bau und Test von realen Prototypen. Die virtuelle Produktentwicklung stützt sich auf die Arbeit mit virtuellen Prototypen. Im Verlauf des Entwicklungsprozesses wird der virtuelle Prototyp konkretisiert. Ist die Produktentwicklung abgeschlossen, repräsentiert der virtuelle Prototyp das Serienprodukt, er wird so zum "virtuellen Produkt". [GaEK-01]
Zum besseren Verständnis der Begriffe "virtueller Prototyp" und "digitaler Mock-Up" (DMU) sei auf die Bild 1 verwiesen. Der digitale Mock-Up dient der Entwicklung der sogenannten Baustruktur. Die Baustruktur repräsentiert den Bauzusammenhang, das heißt die Anordnung und Verbindung der Bauteile zu Baugruppen und schließlich zum Erzeugnis. Basis für den DMU bilden die 3D-Modelle der Bauteile und die logische Strukturierung des Erzeugnisses in Baugruppen und Bauteile. Letzteres erfolgt in der Regel im Rahmen eines PDM-Systems. Der virtuelle Prototyp ist eine Erweiterung des DMU, weil neben der Gestalt noch weitere Aspekte wie Kinematik, Dynamik, Festigkeit etc. Berücksichtigung finden. [GaEK-01]


In [Ovtc-03] werden die Begriffe "Digital Mock-Up" und "virtueller Prototyp wie folgt voneinander abgegrenzt. Bild 2 ordnet die beiden Begriffe in den Kontext der virtuellen Produktentwicklung ein.
Der Begriff Digital Mock-Up (im Deutschen auch als digitale Attrappe bezeichnet) steht für die Repräsentation der Produktstruktur mit Baugruppen und Einzelteilen auf Basis von vereinfachten und angenäherten (approximierten) Volumen- oder Flächengeometrien. Durch Zuweisung von Materialeigenschaften zum Volumeninhalt können Gewicht, Schwerpunktslagen sowie Trägheitsmomente und -tensoren bestimmt werden. Entsprechend der Produktstruktur ist die Simulation von Einbau- und Ausbauvorgängen mit Kollisionsprüfungen möglich. Außerdem können aus dem Digital Mock-Up Präsentationsmodelle für Anwendungen der Virtuellen Realität (VR) abgeleitet werden. [Ovtc-03]
Virtuelle Prototypen erweitern die Möglichkeiten von Digital Mock-Ups um physikalische und logische Eigenschaften, die zur Simulation des Produktverhaltens hinsichtlich eines oder mehrerer physikalischer und logischer Effekte erforderlich sind. Zu diesen Simulationen zählt zum Beispiel die Mehrkörpersimulation (MKS). [Ovtc-03]

