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Das folgende Kapitel behandelt die Probleme, die bei der gusstechnischen Herstellung von Teilen aufgrund der Temperaturänderungen (Abkühlen, Erstarren) auftreten können.

Werkstoffe, die gießend bearbeitet werden, erfahren durch diese Temperaturänderung auch eine Formänderung (Schwindung). Dies stellt eine Materialbelastung in Form von Spannungen und möglichen, daraus resultierenden Deformationen dar.

Nachfolgend soll gezeigt werden, wie die Entstehung von Spannungen und Deformationen im Werkstück bereits bei seiner konstruktiven Gestaltung beachtet bzw. vermieden werden kann.




Bild: Zeitlicher Verlauf der Abkühlung


Auf diesem Bild ist der Vorgang des Abkühlens dargestellt, jeweils für einen dicken und einen dünnen Querschnitt. Es ist festzustellen, dass der dünne Querschnitt sich schneller der Raumtemperatur annähert, als der dicke. Somit kann man gemäß dieser tangentialen Richtungen entsprechende t-Werte angeben.

Dabei gilt, dass man bei einer Zeit T = 5t eine Abweichung von der Raumtemperatur erreicht, die kleiner als 1% ist. Es ist nun die Frage in wieweit es, bezogen auf unseren Gießprozess nachteilig ist, dass der dünne Querschnitt schneller abkühlt, als der dicke. Dies ist wie folgt zu erklären. Alle Materialien besitzen einen spezifischen Ausdehnungskoeffizienten. Mit fallender Temperatur wird sich das Werkstück entsprechend diesem Ausdehnungskoeffizienten verändern, beim Abkühlen also verkleinern.
Dieser Schwund muss bei der Gestaltung des Werkstückes beachtet werden, da er an einer dünnen Stelle früher und an einer dicken später zur Geltung kommt.

Zum Schwund ist ein Beispiel im Bild aufgezeigt. An diesem Werkstück sind zwei dünne Stege an der Außenseite und ein dicker in der Mitte angeordnet. Die dünnen Stege sind früher erkaltet und zusätzlich kann der äußere Teil beim Erkalten vom inneren dicken Teil Material nachziehen, da dieser noch flüssig ist. Wenn nun der mittlere Teil erkaltet und dabei schwindet, so kann er kein Material nachziehen, da die äußeren Stege bereits erkaltet sind. Somit wird dieser Teil gegenüber den anderen kürzer.

Die endgültige Form würde sich übertrieben, wie in Abbildung b dargestellt, ergeben. Die im Material wirkenden Spannungen sind durch Pfeile dargestellt.
An den äußeren Stegen werden sich Druckspannungen aufbauen und am Mittelsteg eine Zugspannung. Das bedeutet also, dass sich durch den unterschiedlichen Querschnitt Spannungsanhäufungen in den Stegen ergeben würden.




Bild: Spannungen und Deformationen


Bei diesem Beispiel im Bild sind zwei unterschiedliche Querschnitt dargestellt. Die Form nach dem Erkalten ergibt sich durch folgenden Ablauf.
Abb. a: Der untere dünne Bereich erkaltet früher, zieht das Material wieder aus dem dickeren nach und kann somit seine Form weitestgehend beibehalten. Wenn jedoch der dickere Teil erkaltet und der Schwund einsetzt, kann aus dem dünneren Bereich kein Material nachgezogen werden, da dieser bereits erstarrt ist. Er zieht sich also zusammen. Das Teil wird mit Zugspannungen (oben) und Druckspannungen (unten) belastet. Daraus ergibt sich die angedeutete Form.
Abb. b: Jetzt ist die Sachlage umgekehrt. Es ist ein schmaler Steg gegossen worden, wobei die untere Auflage dick gestaltet ist. Die Überlegungen sind analog. Der Bereich des oberen schmalen Steges wird zu erst erkalten und kann aus der unteren noch flüssigen Auflage Material nachziehen. Er behält seine Form und Länge bei.

Wenn die untere Auflage erkaltet und bei der Erstarrung der Schwund einsetzt, ist es unmöglich, aus dem dünnen, schon erkalteten Steg, Material nachziehen zu können. Somit tritt die Zugspannung und Verkürzung des Teiles im unteren Steg auf, was eine Verformung nach sich zieht.

Daraus ergibt sich als Forderung für die Gestaltung von Gussteilen möglichst gleiche Wandstärken beizubehalten.




Bild: Spannungen und Deformationen


Das Rad im Bild - Abbildung a - ist im Außenbereich dicker als die Speichen und die Nabe. Beim Erkalten des Gusskörpers werden die inneren Bereiche zuerst erstarren und Material nachziehen. Wenn dann der äußere Ring erstarrt und sich beim Schwinden zusammenzieht, ergeben sich Druckspannungen auf die Speichen, was vermutlich eine Verformung der Nabe zur Folge hat. Der ideale Kreisquerschnitt ist nicht aufrecht zuhalten. Wenn sich der äußere Bereich zusammenzieht, werden sich dort Spannungen aufbauen, die als Zugspannungen interpretiert werden.

Werden nun die Einzelkomponenten des Rades, wie in Abbildung b gestaltet, können diese Prozesse analog betrachtet werden. Der äußere Ring und die Speichen sind dünner als die Nabe. Der äußere Ring und die Speichen werden zuerst erkalten und erstarren.

Wenn sich die Speichen zusammenzuziehen, muss sich auch der äußerer Ring verkleinern, was eine Druckspannung zur Folge hat. Die Form von Ring und Speichen ist beim Erstarren der Nabe bereits fixiert.
Wenn nun an der Nabe der Schwund einsetzt, werden in den Speichen Zugspannungen entstehen.

Bei dem Gussteil in Abbildung c wird ein Rad mit dicken Speichen dargestellt, während der äußere Ring und die Nabe dünner gestaltet sind. Wenn der äußere Ring und die Nabe bereits erstarrt sind, beginnt erst die Erstarrung und der Schwund der Speichen. Diese verkürzen sich und so entsteht eine Zugspannung, weil die innere und äußere Form bereits fixiert sind. Dadurch resultieren Druckspannungen im äußeren Ring. Es besteht die Gefahr, dass die Speichen vom inneren oder äußeren Ring abreißen.

Zusammenfassend ist erkennbar, dass sich unterschiedliche Spannungen im Werkstück aufbauen können und sich daraus unterschiedliche Auswirkungen in Bezug auf die Belastungen ergeben.




Bild: Spannungen und Deformationen


Ein weiterer möglicher Fehler ist anhand eines Scheibenrades dargestellt. Die Scheibe erstarrt vor den stärker gebauten Teilen (Nabe und äußerer Ring).
Es wird mit größter Wahrscheinlichkeit eine Verformung eintreten. Auch hier ist der auftretende Schwund die Erklärung.

Der Schwund an den kleinen Querschnitten fällt kleiner aus und somit entstehen Kräfte am äußeren Ring. Die Scheibe ist somit gezwungen in die dargestellte Form (Abb. a) auszuknicken.

Die Lösung kann hier wie in Abbildung b aussehen. Der Schwund wird gleichmäßig verteilt, so dass man bezüglich der Erstarrung möglichst gleiche Verhältnisse schafft. Es darf also kein Nachziehen von Material ermöglicht werden, sondern eine gleichmäßige Erstarrung erfolgen. Dies wird durch Angleichung der Wandstärken erreicht. Gleichzeitig wird damit das Entstehen von nachteiligen Spannungen verhindert.




Bild: Spannungen und Deformationen


Im Beispiel im Bild wird eine weitere Möglichkeit aufgezeigt Deformationen während des Erstarrens vorzubeugen. Bei dem abgebildeten Gussteil handelt es sich um ein leiterartiges Werkstück. Die Stege wurden zur Steifigkeitserhöhung eingebracht. Auch hier besteht das Problem, dass sich Druckspannungen in den Stegen aufbauen, die dazu führen können, dass sich die Stege in der dargestellten Weise verformen und im ungünstigsten Fall ausknicken.

Bei der besseren konstruktiven Lösung wird ein Lösungsansatz aus der Natur angewendet. Zum Beispiel an einem Strohhalm befinden sich in bestimmten Abständen knotenartige Verdickungen. Sie dienen der Erhöhung der Festigkeit. Die Umsetzung auf unser Werkstück ist in Abbildung b dargestellt. Auch hier wurden an den Stegen "Knoten" angebracht und die Stege so versteift. Sie sind zwar in ihrer materiellen Ausdehnung nur gering, bringen jedoch das gewünschte Ergebnis.




Bild: Spannungen und Deformationen


Hier im Bildsieht man wieder als Beispiel ein Rad, diesmal als Speichenrad. Deutlich erkennbar ist die Materialanhäufung im Bereich der Nabe.

Die Frage ist hier, ob sie zu vermeiden ist, da das unterschiedliche Erkalten bedeutet, dass sich wiederum Spannungen aufbauen; im Bereich der Speichen hier wieder als Druckspannungen. Damit sich diese Druckspannungen nicht in gleicher Weise wie beim Scheibenrad auswirken können, ist in Abbildung b eine mögliche Lösung aufgezeigt.

Hierbei werden die Speichen schon vorher gekrümmt gestaltet. Dies bedeutet, dass später, nach dem Erkalten, die Krümmung zwar ausgeprägter sein wird, jedoch sich nicht so große Spannungen aufbauen können. Auch das ist wieder eine relativ einfach zu realisierende konstruktive Lösung.




Bild: Spannungen und Deformationen


Im Bild werden zwei Beispiele behandelt, bei denen Verformungen nach dem Erkalten voraussehbar sind. Es gilt, den Bereich, in dem die Spannungen aufgebaut werden und somit die Verformungen zu erwarten sind, so umzugestalten, dass die Deformation nicht im vornherein als Mangel angesehen wird, sondern eher als gewollt. Die konstruktive Lösung könnte für das Bauteil a1 wie in Abbildung a2 aussehen.

Es wird nach dem gleichen Prinzip verfahren, wie im Beispiel des Speichenrades. Das Ausknicken des Bodens ist hier schon vorgesehen. Wenn nun die Wölbung des Bodens beim Erstarren und Schwinden des Materiales noch ein wenig größer ausfällt, ist dies nicht als ungewollt erkennbar. Nach dem gleichen Prinzip wird auch beim zweiten hier aufgeführten Beispiel vorgegangen (Abb. b1 und b2). Das schubfachartige Gebilde wird so gestaltet, dass die Verformung der Stege als gewollt erkannt wird.

Hier wurde ebenfalls durch geringfügige Änderungen in der Geometrie eine Anpassung an die zu erwartenden Spannungen vorgenommen.




Bild: Spannungen und Deformationen


In Bildist eine Grundplatte mit zwei buchsenförmigen Aufsätzen dargestellt (Abb. a). Damit sich das Werkstück gut ausformen lässt, sind diese Buchsen kegelförmig ausgebildet (Ausformschrägen), was eine Materialanhäufung an den Verbindungsstellen zur Platte ergibt. Der dünnere Bereich ist bereits erkaltet, wogegen der dickere erst zu erstarren beginnt und somit kein Material aus anderen Bereichen mehr nach-ziehen kann. Die daraus resultierenden Spannungen würden unweigerlich zu Rissen führen (Abb. a).

Die Zielstellung, gleichmäßige Wandstärken zu gestalten, kann, wie in Abbildung b dargestellt, umgesetzt werden. Es werden zylindrische Buchsen eingesetzt, die mit entsprechenden Stegen zur Versteifung versehen sind. Diese Stege sollen die auftretenden Kräfte aufnehmen, und die Ausformschrägen bleiben erhalten. Der Auslauf dieser Stege ist so gestaltet, dass keine Kante zwischen Steg und Grundplatte auftritt, sondern ein allmählicher Übergang entsteht. In der Darstellung der Draufsicht ist eine sogenannte Nichtkante zu zeichnen.




Bild: Spannungen und Deformationen


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